Auf der einen Seite erlebe ich eine wahnsinnig hohe Energie- und Ratlosigkeit. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich davon nicht einschüchtern lassen und dem Chaos entgegentreten. Aber egal wie jemand reagiert, halte ich es für wichtig, dass wir über dieses Thema sprechen. Im Gegensatz zu unseren Eltern oder Großeltern, die die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs noch deutlicher zu spüren bekommen haben, sind wir alle Friedenskinder. Für uns geht es vorrangig um die Challenge, mit welcher inneren Haltung wir der Lage begegnen.
Weit weg oder doch ganz nah?
Wir hatten seit 70 Jahren keinen Krieg mehr in Europa. Das ist Fakt. Insbesondere die jüngeren Jahrgänge wurden bis heute noch nie mit einer solchen Situation konfrontiert. Wir hatten zwar schon Kriege, die nicht so lange zurückliegen, aber wir wollten sie nicht sehen. Ich erinnere mich beispielsweise noch an Jugoslawien – bis 2001 herrschten die jugoslawischen Nachfolgekriege, die mit dem Zerfall des Staates verbunden waren. Auch Syrien, Libyen oder Algerien waren bzw. sind sogar noch Kriegsgebiete, aber die liegen bequemerweise weit weg. Damit mussten wir uns nicht weiter auseinandersetzen, weil es uns nicht in der Weise getroffen hat, wie es der Krieg in der Ukraine tut. Wir fühlten uns nicht gefährdet. Das ist heute anders. Wir spüren, was der Krieg auch mit uns macht. Ich glaube, dass uns diese Situation seit einigen Tagen massiv aus der Komfortzone gelockt, regelrecht gestoßen hat.
Machtlos oder weitermachen?
Wie gehen wir mit einer Situation um, auf die wir keinen Einfluss haben? Wir wissen nicht, was passiert und können die derzeitigen Entscheidungen nicht mitbestimmen. Da geht es uns ein wenig wie den Menschen, die gerade fliehen. Wir sind Getriebene, nicht Gestaltende. Für UnternehmerInnen, die es gewohnt sind, selbst zu gestalten, ist das eine besondere Herausforderung. Gleichzeitig müssen sie jetzt ein Vorbild für ihr Unternehmen und ihre Mitarbeitenden sein. Ich finde den Spruch: „keep calm and carry on“ in diesem Zusammenhang sehr inspirierend. Viele kennen das ikonische Poster, das die Engländer 1939 gedruckt, aber nicht verwendet haben –
mit einer Auflage von zweieinhalb Millionen Stück. Der Grundgedanke dahinter war: „Egal, was passiert, wir machen weiter.“ Ein hervorragendes Beispiel auch für uns, nicht einfach aufzugeben, sondern weiterzumachen.
Der Extremsurfer – Umgang mit der Angst
In meinem Newsletter-Beitrag hatte ich auch das Bild eines Surfers skizziert, der sich am Strand von Hawaii den meterhohen Wellen entgegenstellt. Wir sind als Unternehmer, als Führungskräfte, als Menschen so wie dieser Surfer. Jetzt kommt eine gigantische Welle auf uns zu und es gibt zwei Möglichkeiten: Bin ich bereit und mutig genug, auf das Brett zu springen und die Welle zu reiten, in vollem Wissen, dass es ein Risiko ist, oder gebe ich auf und versuche mich irgendwie ans Ufer zu retten? Im Kern geht es hier um Mut. Ein guter Surfer rennt aber nicht einfach kopflos ins Wasser, er wägt die Gefahren und Risiken vorher ab, bezieht die Wind- und Wetterverhältnisse mit ein, trifft Sicherheitsvorkehrungen usw. Er hat vielleicht auch Angst, aber wie er damit umgeht, macht den Unterschied.
Angst hat ihren Platz – aber es gibt für alles eine Lösung
Nach wie vor leben wir in einer Zeit, in der es „uncool“ ist, über Ängste zu sprechen. Das müssen wir ändern. Viele UnternehmerInnen und ManagerInnen sprechen oft mehr über Befürchtungen als über Ängste. Nennen wir das Kind doch beim Namen: Es geht um die nackte Angst. Zu der Angst stehen und ihr einen Platz zu geben, ist völlig okay. Die Frage ist nicht, ob wir Angst haben, sondern wie wir damit umgehen. Da muss ich direkt an meine Mutter denken. Sie hat immer zu mir gesagt: „Ben, bleib locker. Es gibt für alles eine Lösung.“ Das hat mich sehr geprägt. Der Impuls, sich mutig der Angst zu stellen, hat auch etwas mit einem Realitätscheck zu tun. Für mich ist eines glasklar: Wir leben nicht länger in der alten Zeit. Wir brauchen heute für viele Entscheidungen mehr Mut. Es ist eine Zeitenwende. Als Unternehmer und Unternehmerinnen haben wir die Aufgabe zu führen. Führen mit Mut, Augenmaß, Klarheit und Ausdauer.
Ruhe bewachen und weitermachen
Ich komme noch einmal auf das Plakat der Engländer zurück: „keep calm and carry on – Ruhe bewahren, weitermachen.“ Das fordert eine Menge Mut und vor allen Dingen geben wir unserem Umfeld durch diese Haltung auch eine Form von Sicherheit und Stabilität – egal ob Familie, Mitarbeitende oder GeschäftspartnerInnen. Wenn wir heute in der Haltung agieren: Ruhe bewahren, weitermachen, dann erlebt man uns als souverän. Das bedeutet nicht, dass wir keine Angst haben dürfen, aber es bedeutet, dass wir mit dieser Thematik völlig anders umgehen. Da wir die Angst benennen und sie kennen, sind wir in der Lage, zu steuern und zu planen.
Deshalb mein Appell an alle UnternehmerInnen, Selbständige und auch Mitarbeitenden: Habt Mut, gesteht euch eure Ängste ein, aber so, dass ihr sie in neue Energie wandeln könnt. Das wünsche ich allen und werde auch selbst dieser Haltung weiterhin folgen.