So unterschiedlich die Menschen sind, so unterschiedlich nehmen sie Stress wahr. Die einen sind äußerst stresserprobt und merken deshalb oft viel zu spät, dass sie unter ständigem Stress standen – leider meist an körperlichen Auswirkungen und gesundheitlichen Problemen. Die anderen nehmen den Stress viel früher wahr. Sie merken ihn auch körperlich schneller. Sie schlafen schlecht. Sie machen sich Sorgen. Sie haben abends auf der Couch plötzlich Herzrasen. Ständiger Stress erzeugt ein grundsätzliches Unruhegefühl, das sich mehr und mehr multipliziert, bis es wie eine riesige Welle einfach über einen schwappt.
Wie jemand mit Stress umgeht, ist ebenfalls individuell. Mancher wird schroff gegenüber seinem Umfeld und andere igeln sich ein, verdrücken das ein oder andere Tränchen, während sie merken „Ich kann nicht mehr“. Es stimmt, dass wir uns Stress auch selbst machen können, indem wir immer und immer wieder etwas durchdenken. Auch unsicher, unsortiert, orientierungslos zu sein und das vielleicht sogar noch in unterschiedlichen Rollen – also in meiner Beziehung, im Job, als Elternteil – verursacht eine nicht endendes Gedanken-Karussell aus Sorgen, Ängsten und Zweifeln.
In einer komplexen Welt gibt es keine einfachen Antworten
Jeder Mensch muss für sich eine Strategie finden, um dem Stress im eigenen Leben zu begegnen. Es gibt kein Allheilmittel, das für alle funktioniert. Ich kenne diese Situationen selbst gut. Auch wenn ich mich für jemanden halte, der sehr stressrobust ist und extreme Dinge aushalten kann: In den letzten drei Wochen bin ich echt an mein Limit gekommen. Ich möchte euch deshalb erzählen, was meine Hilfsmittel sind, um mit Stress umzugehen – manchmal braucht es nur ein wenig gesunden Menschenverstand.
Stress hat seine Daseinsberechtigung
Stress ist nicht nur schlecht, das müssen wir uns zuerst bewusst machen. Stress ist ein Motor, er treibt uns zu Höchstleistung und wir brauchen ihn auch, gerade in Extremsituationen. Unser Körper kann den Modus Stress, weil er einen Sinn hat. Es bringt also nichts, ihn zu verteufeln und nur noch zu meiden. Ich selbst setze in meiner Stressbewältigung bei dem Wort Selbstführung an. Wer in einer Stresssituation ist, dem fehlt die Fähigkeit der differenzierten Betrachtung. Es herrscht Chaos: Chaos in den Emotionen, Chaos im Kopf usw. Um dieses Chaos zu durchbrechen, stelle ich mir folgende Fragen:
- Ist die Situationen lebensbedrohlich?
- Was passiert hier eigentlich gerade?
- Was passiert auf der Sachebene?
- Was auf der emotionalen Ebene?
- Wie kann ich die Situation differenzierter betrachten?
Das liest sich jetzt hier völlig easy, aber in einer wirklichen Stresssituation stellt man schnell fest, dass diese Fragen alles andere als leicht zu beantworten sind. Manchmal kann es sogar nötig sein, dass diese Fragen von außen an einen herangetragen werden. Von einem guten Freund, einem Coach, einem Therapeuten, der sagt: Lass uns das mal auseinanderpflücken.
Drei Aspekte des Vitalitätsmanagements
Was ist noch in der Selbstführung wichtig? Das sogenannte Vitalitätsmanagement. In Stresssituationen gibt es meiner Meinung nach drei Aspekte, die man sich anschauen sollte.
Erster Aspekt: Schlaf.
Schlafe ich genug? Wie ist die Qualität meines Schlafs? Fühle ich mich danach ausgeruht? Wache ich ständig auf? Etc. Ja, das ist ziemlich simpel, aber wer Stress hat, braucht genug Schlaf. Gönn deinem Körper Ruhephasen.
Zweiter Aspekt: Auszeiten.
Gibt es auch Zeiten, in denen du dich mal rausnimmst? In denen du die Pausetaste drückst und einfach mal raus kommst? Das ist schon weniger einfach, viele denken jetzt sicher, dass sie dadurch noch unruhiger werden. Das kann gut sein. Aber: Wer permanent macht und tut, lenkt sich selbst davon ab, dass er Ruhe bräuchte.
Gutes Selbstmanagement bedeutet also, auf den eigenen Körper zu hören, sich Auszeiten zu nehmen und genug zu schlafen. OK – aber was mache ich denn in so einer Auszeit? Jetzt bin ich selbst eher Bewegungslegastheniker – alles, was mit Bewegung und Sport zu tun hat, ist nicht so meins. Trotzdem merke ich, vor allem, wenn ich stark unter Druck stehe, dass es mir enorm hilft, einfach mal die Runde mit dem Hund zu verlängern. Das Laufen, die Bewegung, allein, mit meinem Vater, meinen Kindern, das beruhigt mich. Ich komme runter und bin in einem Rhythmus, in einer Regelmäßigkeit. In der Bewegung bauen wir Stress ab.
Dritter Aspekt: Ernährung.
Es gibt etliche Menschen, die Stress mit Essen begegnen, also entweder mehr oder weniger essen. Beides hat auf Dauer gesundheitliche Konsequenzen. Wer im Stress mehr isst, greift ja doch eher zu den Keksen als zur Möhre. Auch der Alkoholkonsum sollte beobachtet werden, denn es gibt die, die im Stress abends noch ein Bierchen mehr trinken oder sich darüber wundern, warum der Wein plötzlich leer ist.
Das sind Beispiele, die ich aus meiner Erfahrung nennen kann. Ich kenne andere, die machen tolle Erfahrungen mit Meditation oder Yoga. Wieder andere müssen 20 Kilometer auf dem Rad sitzen, um Stress abzubauen. Da funktionieren wir alle anders. Entscheidend ist, was im Kopf dabei passiert.
Stresssituationen sind Chancen, um mich besser kennenzulernen
Nochmal, manchmal braucht es nur ein bisschen gesunden Menschenverstand. Viele liegen dem Irrtum auf, dass sie den heiligen Gral in den neusten Erkenntnissen der Neurologie finden oder dass die Erfolgspille da oder dort liegt – aber nein. Es reicht, einfach mal das Gehirn einzuschalten. Stress gehört zu unserem Leben dazu, das sollten wir akzeptieren. Dann fällt es leichter, aus ihm zu lernen. Stresssituationen helfen mir dabei, umzudenken, Dinge in Zukunft anders zu machen, prophylaktisch beim nächsten Mal schon anders zu kanalisieren und besser auf mich zu achten.
Was lernst du aus Stresssituationen? Was hast du aus deiner letzten wirklich harten Situation gelernt? Auch hier muss ich dazu raten, deine Löffelliste zu schreiben und nichts auf die lange Bank zu schieben. Ich möchte dir Mut machen, schau genau hin: Wie gehst du mit Stress um? Ist das für dich artgerecht? Guckst du differenziert auf deine Themen? Oder lässt du dich vom Stress jagen?