Gefühlt spricht jeder Mensch heute davon, im Stress zu sein – wieder neun oder zehn Stunden gearbeitet zu haben.
Manchmal mache ich mich auch darüber lustig, denn die 36 Stunden Woche ist ja echt super. Ich finde sie so klasse, dass ich sie ab Mittwoch einfach noch mal mache, ohne dass es mich stresst. Aber auch ich habe vor Jahren eine Situation erlebt, in der ich mich über Monate überfordert fühlte. Ich stand eines morgens vor der Spülmaschine und war in einem solchen Erschöpfungszustand, dass ich nicht mehr konnte. Das Problem war nicht, dass ich überarbeitet war oder zu viel gearbeitet habe. Als UnternehmerInnen und Selbstständige sind wir permanent am Arbeiten und Denken. Aber der Punkt ist oftmals nicht die Arbeit, sondern der Druck, dass wir mit uns und unserer eigenen Identität, sprich mit den Rollen, die wir haben, einfach überfordert sind. So ging es mir damals. Ich habe mich vier Wochen ausgeklinkt und war in einer Rehaklinik. Dort begann ich ein Gefühl für Stressmanagement zu entwickeln und in den Alltag zu integrieren. An der Stelle ist wichtig zu unterscheiden: Es gibt einen sehr gesunden Stress, den es einfach braucht, damit wir volle Leistung zeigen und es gibt einen sehr toxischen Stress, der uns über kurz oder lang ausknockt.
„Nur die Harten kommen in den Garten“
Wer unter Stress steht, fühlt sich häufig, als würde er ertrinken. Das bedrückende Gefühl, den Kopf kaum mehr über Wasser halten zu können. Meiner Erfahrung nach ist es in solchen Situationen wichtig, sich das einzugestehen und dumme Sprüche wie „Ein Indianer kennt keinen Schmerz“ oder „Nur die Harten kommen in den Garten“ beiseitezuschieben. Grundsätzlich sind Menschen in Führungspositionen Macher-Typen und tendieren dazu, permanent über ihre Grenzen zu gehen. Die Gefahr dahinter ist, dass wenn der Stressbogen überspannt wird, es bei vielen bereits kurz nach 12 ist. Kommen dann von links oder rechts Kommentare, man müsse mal einen Gang zurückschalten, ist das häufigste Argument: „Ich habe alles im Griff.“ Gern genommen ist auch ein „Jetzt noch vier Wochen und wir haben das und das erreicht.“ Aber sind wir ehrlich: Das ist Bullshit und eigentlich wissen wir das auch. Wenn ich mit Menschen spreche, dann ist es als würde auf einer Jukebox ständig derselbe Song abgespielt werden: „Wir sind gerade mit dem Kopf unter Wasser.“ Die Betonung liegt auf „gerade“. Jetzt ist es schlimm. Jetzt ist es extrem. Und in den meisten Fällen ist es nicht jetzt, sondern immer. Natürlich gibt es Situationen oder Überraschungen, die unvorhergesehen sind und Stress auslösen, aber wir müssen uns auch mit der systematischen Überlastung auseinandersetzen und ehrlich zu uns selbst sein.
Niemand will getrieben werden
Mit Blick auf die vergangenen zwei Jahre ist klar, dass der Druck und die Anforderungen gestiegen sind – insbesondere für UnternehmerInnen, das Management, InhaberInnen und Selbstständige. Was vielleicht als Sprint begonnen hat, ist mittlerweile ein Marathon. Die Pandemie hat bereits viele Fragen und Bedrohungen aufgeworfen: Wer hätte z. B. schon damit gerechnet, dass fast zwei Jahre keine Veranstaltungen stattfinden würden? Hinzu kommt das ganze Thema der Videokonferenzen und Homeoffice. Jeder mit einem Internetanschluss und Laptop kann sich dem im Grunde nicht mehr verweigern. Die Erwartungshaltung ist immer und überall einsatzbereit zu sein. Lockdown und Co. führten zu mentalem und Beziehungsstress, da man gefühlt 24 Stunden aufeinander hockte. Und das Geschäftsumfeld ist auch schwieriger geworden. Die Pandemie hat nicht gerade zu einer Explosion an Wirtschaftswachstum geführt. Das sind alles Dinge, die zusammenkommen und schnell zum Kipppunkt führen, an dem sich das Gefühl des Kontrollverlusts breit macht und man sich getrieben fühlt. Gerade Menschen, die unternehmerisch tätig sind, haben überhaupt keine Lust auf Getriebensein. Denn das ist ja der Hauptgrund, warum sie UnternehmerInnen geworden sind. Insofern ist das doppelt belastend.
Wie lang ist Ihre Lunte?
Der Stress in den letzten Monaten hat sich auf jeden Fall potenziert. Ich spüre das in den Gesprächen mit meinen Kunden und mit vielen Selbstständigen. Es ist in den vergangenen zwei Jahren zu einem der wichtigsten Themen geworden. Wie gehen wir mit Stress um? Ich bin immer überrascht wie unterschiedlich Menschen mit Stress umgehen. Es gibt Menschen, die ihn einfach ignorieren. Es gibt solche, die alles in sich hineinfressen und andere, die offen darüber sprechen. Und manche treiben es so weit, dass es sogar an Selbstverletzung grenzt. Um herauszufinden wie sehr man unter Stress steht und wie hoch der emotionale Puffer noch ist, stellt sich die Frage wie kurz die Lunte ist, bis es knallt. Es gibt Menschen, die haben eine sehr lange Lunte. Da denkt man, die sind aber relaxed und souverän, und dann gibt es andere, die haben eine sehr kurze Lunte. Dann wiederum gibt es Menschen, die haben gar keine Lunte mehr. Oftmals bekommt man aus dem Umfeld sehr deutlich gespiegelt, wie es um die eigene Zündschnur steht. Wie also gehen wir mit Situationen um, und wann merken wir, dass es kurz vor zwölf ist? Ich glaube, es ist entscheidend, dass wir uns Mechanismen einbauen, um Warnsignale frühzeitig zu erkennen und zu handeln.
Mythos Work-Life-Balance
Ja, es mag Zeiten gegeben haben, in denen Berufs- und Privatleben streng getrennt wurden. Doch schon damals galt das für die meisten UnternehmerInnen nicht. Wer UnternehmerIn ist und für das, was er tut, brennt, schaltet sein Gehirn nicht aus, wenn er aus dem Büro geht. Die besten Ideen kommen selten im Bürostuhl, sondern eher beim Sport, unter Dusche, im Urlaub oder sonst wo. Auch wenn die Sorge besteht, dass ein wichtiger Kunde abspringt oder es ein Qualitätsproblem gibt, dann kann man nicht einfach sagen, jetzt beginnt das Privatleben und ich bin raus. Die Work-Life-Balance ist ein Mythos, der für UnternehmerInnen nicht funktioniert.
Was hingegen zählt, ist Resilienz oder Widerstandskraft. Dieser zentrale Überlebens- und Erfolgsmechanismus stellt eine viel wichtigere Frage: Wie steigere ich meine Widerstandskraft? Eine Variante, die Walter Kohl in unserem Podcast beschreibt, ist dass er Dinge aufschreibt. Je schlimmer die Situation wird, desto größer ist das Blatt Papier, das er verwendet. Er kreiert dann mit Bleistift eine Mindmap und durch das Aufteilen und Aussprechen, erreicht er innere Erleichterung. Es ist eine Form von Reflektion, Sortierung, Differenzierung von Themen und aktiv zu werden. Jeder hat seine Art mit Stress umzugehen – doch sicher hat das nichts mit Work-Life-Balance zu tun.
Self Care statt Trennung
Anstatt mit aller Macht Berufliches von Privatem zu trennen, sollten wir auf ein ganzheitliches Konzept setzen. Ein Konzept, das sich auf die Person als Individuum bezieht. Nicht auf das Leben, sondern auf die Art und Weise, wie sie am besten mit einer Sache umgeht. Kurz gesagt: Es geht um Self Care oder zu deutsch Selbstfürsorge. Oft wird das fehlinterpretiert – da spricht man dann vom Yoga-Kurs, der Gesichtsmaske oder dem Glas Prosecco am Pool. Doch für sich selbst zu sorgen, ist nicht mit einem Wellness-Wochenende getan, es ist ein kontinuierlicher Prozess. Beleuchten wir einmal fünf Bereiche, in denen Self Care zum Tragen kommt.
1 – Körper
Die erste Frage ist: Wie gehe ich mit meinem Körper um? Wer seinen gesunden Menschenverstand einschaltet, dem ist bewusst, dass Stress sich nicht bewältigen lässt, wenn der Körper schlapp macht. Nehmen wir zum Beispiel den Schlaf. Die meisten Menschen wissen, wie viel Schlaf sie brauchen, um leistungsfähig zu sein. Wer in stressigen Zeiten nur zwei Stunden die Nacht schläft, kann sich die Auswirkungen denken.
Stellen Sie sich vor, Ihr Körper ist Ihr bester Freund. Würden Sie ihn so behandeln, wie Sie ihn heute behandeln? Das beginnt beim Essen, führt über den Konsum von Alkohol und Zigaretten bis hin zu körperlicher Aktivität. Der Körper spielt eine große Rolle für unsere Performance – jeder Profisportler wird Ihnen sagen, dass er nur performen kann, wenn die körperliche Fitness stimmt. Für sich zu sorgen, heißt auch für seinen Körper zu sorgen.
2 – Emotionen
Zu Beginn steht hier die Ehrlichkeit: akzeptieren, dass es zu viel ist und auch zugeben, Angst vor Überforderung zu haben. Es mag esoterisch klingen, aber wir sollten der Angst einen Raum in der Seele geben, sie akzeptieren und ausdrücken – in welcher Form auch immer.
Ein weiterer Punkt, wenn es um Emotionen geht, ist diese zu steuern. Ich habe zum Beispiel ein Self-Care-Fotoalbum erstellt. Dort sind um die 40 Bilder, die für mich emotional positiv belegt sind: Fotos mit meiner Frau und meinen Kindern, Bilder beim Motorradfahren beim Grillen usw. Ich habe mir angewöhnt, dass ich mir ein paar Mal in der Woche zwei Minuten Zeit nehme, um meinen Geist mit positiven Emotionen zu füllen.
3 – Verstand
Im Umgang mit Stress bzw. bei Self Care spielt es eine entscheidende Rolle, wie wir unseren Geist mit Wissen füttern. Ich habe in den letzten Wochen erlebt, dass Menschen ununterbrochen den ganzen Tag mit Nachrichten beschäftigt waren – von TV über Radio bis hin zu Print- und Onlinezeitungen. Nichts spricht dagegen, informiert zu sein, doch wie so oft macht die Dosis das Gift.
Selbstfürsorge heißt auch, den Verstand mit Themen zu füttern, die gut für mich sind, die mich weiterbringen, die meinen Horizont erweitern. Vielleicht auch mit Dingen, die meine eigenen Sorgen in Relation setzen und mir bewusst machen, dass ich diese lösen kann.
4 – Beziehungen
Wie pflegen Sie Ihre Beziehungen? Mein Großvater hat mir immer gesagt, dass Menschen mit Führungsverantwortung manchmal ein einsames Leben führen und oft allein sind. Doch wir Menschen wollen – auch wenn wir Autonomie leben und Unabhängigkeit lieben – Verbundenheit spüren. Als „Herdentiere“ laden wir unsere Akkus in der Verbundenheit mit anderen Menschen auf.
Das kann sein, wenn wir einfach mal dummes Zeug reden, ober bei tiefen Gesprächen, in denen man spürt, dass die Beziehung zu der anderen Person gewachsen ist. Lassen Sie uns diese pflegen.
5 – Mentale Stärke
Jetzt denkt vielleicht der eine oder andere, es geht um Meditieren oder ich hole gleich die Klangschalen heraus. Auch wenn manche keinen Zugang dazu haben, ist es nicht von der Hand zu weisen, dass in uns ein Teil Spiritualität steckt. Ich glaube, dass wir in unserer neuen Zeit vergessen oder verlernt haben, dass wir eine Verbindung zum Thema Seele brauchen, denn darin liegt der Ursprung von allem. Wir haben es an vielen Stellen aussortiert – ich spreche ganz bewusst nicht von Religion, sondern von Spiritualität, die unterschiedliche Formen haben darf. Der eine findet das im Glauben, der nächste in der Esoterik oder in etwas ganz anderem.
Spiritualität ist für uns, unsere Seele und mentale Stärke wichtig. Wir müssen hier unseren ganz eigenen Zugang finden. Ob dieser nun über Achtsamkeit, Mindfulness und Mediation führt oder darüber in der Bibel zu lesen, spielt keine Rolle. Sich wieder auf Dinge zu besinnen, die mit meiner Seele zu tun haben, ist glaube ich ein wichtiger Aspekt in der Selbstfürsorge.